Mittwoch, 28. Oktober 2009

Was steckt hinter dem Anschlag in Bagdad? - Teil 1/2

Die Situation in Irak lag in den vergangenen Tagen wieder im Blickpunkt der Medien. Leider geschieht das meist nur, wenn es zu solchen Anschlägen kommt, wie am vergangenen Sonntag, bei dem über 130 Menschen getötet und über 500 verletzt wurden. Zwei Bomben wurden in Bagdad außerhalb der Grünen Zone vor dem Justizministerium und einem weiteren Verwaltungsgebäude gezündet. In einem 'MSNBC'-Bericht wird vermutet, dass die Täter Hilfe aus den Reihen der Sicherheitskräfte bekamen, um die vielen Sicherheitskontrollen erfolgreich passieren zu können. Mittlerweile habe sich Al-Qaida per Internet zu dem Anschlag bekannt. Wenn man nach dem "cui bono" fragt, also danach, wem es nutzt, dann erscheint Al-Qaidas Vorgehen in Irak durchaus kompatibel mit den Interessen der ausländischen Besatzer zu sein. Allerdings wird diese Tatsache oft auf den Kopf gestellt, so z.B. in einem Artikel von Lutz Herden im 'Freitag' am 26.Oktober:
Es wäre politische Selbstentleibung, sollte der irakische Premier al-Maliki gezwungen sein, US-Truppen nach Bagdad zu rufen, weil er deren Beistand braucht wie die Luft zum Atmen. Drei Monate bleiben bis zu den Parlamentswahlen Mitte Januar. Da muss ein Regierungschef, der wiedergewählt werden will, Macht statt Ohnmacht zeigen – und auf die Amerikaner verzichten können. Die hatten sich am 30. Juni aus den großen Städten des Landes in ihre Basen zurückgezogen. Al-Maliki – sichtlich bemüht das Stigma einer Marionette loszuwerden – feierte diesen Tag wie ein nationales Fest. Das Stationierungsabkommen funktionierte. Seit es zwischen Bagdad und Washington vom Herbst 2008 geschlossen war, schien die Rückkehr zu voller Souveränität unaufhaltsam und unwiderruflich. Der Irak konnte wieder er selbst sein. Schließlich wollte Präsident Obama spätestens zum 31. Januar 2011 den letzten US-Soldaten auf Heimatkurs wissen.

Nun aber häufen sich seit Monaten die Anschläge in Bagdad, Basra und Kirkuk, werden immer brutaler, immer verheerender, immer opferreicher. 275 Tote im Juli, 456 im August, 210 im September – am 25. Oktober lassen die Attentate auf das Justizministerium und andere öffentliche Gebäude in Bagdad die höchste monatliche Opferzahl seit 2006 befürchten. Offenbar sind die sunnitischen Milizen eben nicht so domestiziert, wie es Nuri al-Maliki gern hätte, sondern das Rückgrat des nationalen Aufstandes, wie sie einst das Rückgrat der Nationalarmee Saddam Husseins waren.(...)
Die USA haben den Irak in einen Zustand versetzt, der sie zwingt, Besatzungsmacht zu bleiben, solange die Besatzung andauert. Bis zum bitteren Ende, worin das immer bestehen mag: Im fristgerechten Abzug oder dem Versuch erneuter Befriedung. Autorität, die angetreten ist, den irakischen Staate zu unterwerfen, kann sich nicht zurückziehen, wenn diesem Staat nun die Autorität fehlt, seine Bürger zu schützen. Wer andere beherrschen will, muss sie auch regieren können. (Quelle)
Herr Herden liegt mit seiner Einschätzung ziemlich daneben. Das Groteske seiner Ausführungen wird daran deutlich, dass er auf der einen Seite diesen Anschlag dem "Rückgrat des nationalen Aufstands" zurechnet und auf der anderen Seite richtig bemerkt, dass dieser Anschlag nur die weitere Anwesenheit der US-Besatzer "erfordert". Statt "erfordert" müsste es richtiger weise "legitimiert" heißen. Doch Herden will seinen Lesern einbläuen, dass die US-Besatzer durch solche Anschläge gegen ihr eigenes Interesse gezwungen seien, weiterhin im Land zu bleiben. Doch die USA haben ein Interesse im Land zu bleiben, sonst hätten sie es gar nicht erst besetzt. Oder will tatsächlich noch jemand behaupten, die Besatzung Iraks sei aus Nächstenliebe zu den von Saddam unterdrückten Irakern geschehen und werde jetzt aus Nächstenliebe zu den vom Terror gebeutelten Irakern aufrecht erhalten? Die Besatzung des Irak liegt im Interesse der Pentagon-Strategen, niemand hat diese gezwungen, in den Irak einzumarschieren. Und niemand zwingt sie, weiter im Land zu bleiben - auch nicht Al-Qaida.

Näher an der Wahrheit als Herden dürfte Ayatollah Khamenei liegen, der die Terroranschläge im Irak und in Pakistan verurteilt hat und sagte:
"Diese Aktionen geschehen mit dem Ziel, zwischen schiitischen und sunnitischen Muslimen Zwietracht zu säen." (Quelle)
Auch wenn sich bis zum Zeitpunkt des 'Freitag'-Artikels Al-Qaida noch nicht bekannt hatte, musste für jeden Kenner der Verhältnisse klar sein, dass solcherlei Anschläge nicht von dem "Rückgrat des nationalen Aufstands" ausgehen. Denn Ziel dieses Aufstands ist es, eine breite Front gegen die Besatzer aufzubauen und diese zum Abzug zu bewegen. Anschläge wie die vom 25.Oktober sind diesem Ziel offenkundig nicht dienlich. Schauen wir uns das Rückgrat des nationalen Aufstands an. Da in unseren Medien meist nur über Irak berichtet wird, wenn es zu Anschlägen kommt bei denen viele Zivilisten sterben, haben die meisten Menschen hier ein falsches Bild über die dortige Situation. Tatsächlich gibt es täglich über hundert militärische Operationen, die von Widerstandsgruppen gezielt gegen die Besatzungsarmeen durchgeführt werden und sich nicht gegen Zivilisten richten. Täglich gibt es auch über hundert militärische Operationen, die von den Besatzern gegen diese Widerstandsgruppen durchgeführt werden. Viele dieser Operationen gegen die Besatzer werden auf Video dokumentiert und finden dann ihren Weg ins Internet. Mittlerweile gibt es über tausend Aufnahmen, von Angriffen auf Panzer bis hin zu Attacken von Scharfschützen auf US-Soldaten. Doch diese finden ihren Weg nur selten in unsere Massenmedien. Denn diese Bilder machen eins deutlich: Im Irak herrscht Krieg. Da zumeist nur über die Al-Qaida zugeschriebenen Anschläge mit hohen zivilen Opferzahlen berichtet wird, entsteht der falsche Eindruck, dort herrsche keine Krieg, sondern ein Kampf zwischen Terroristen und am Wohlleben der Iraker interessierte Besatzer, die am liebsten ganz schnell wieder aus dem Land verschwinden wollen. Aber dank Al-Qaida nicht können.

Es ist ein Verdienst Dr. Jürgen Todenhöfers, dieser verzerrten Perspektive ein realistischeres Bild entgegengesetzt zu haben. Alle wichtigen Widerstandsorganisationen, wie die 'Islamic Army of Iraq', 'Jaami', die '1920er Revolution Brigades' und deren Abspaltung 'Hamas in Iraq', 'Jaish Al Mujahedeen', 'Hezb Allah Iraq', 'Naqshabandiya', 'Rashideen', oder Dachverbände wie der PCRI (Political Council of Iraqi Resistance) oder die 'Jihad and Change Front', sie alle lehnen Anschläge ab, bei denen Zivilisten zu Schaden kommen könnten.
Sie führen einen völkerrechtlich legitimen Widerstand gegen ein illegales Besatzungsregime, der durch die Genfer Konventionen gedeckt ist. Eben weil er sich keiner terroristischen Methoden bedient, sondern sich gezielt gegen die militärische Infrastruktur der Besatzungsmächte richtet.
Darüber hinaus distanziert sich dieser Widerstand von Al-Qaida, die in Irak unter dem Namen ISI ('Islamic State of Iraq') agiert. Manche dieser Organisationen lieferten sich schon mörderische Gefechte mit  der hauptsächlich aus ausländischen Kämpfern bestehenden Al-Qaida. Belegen lässt sich dies durch öffentliche Erklärungen dieser Gruppen selbst. So schrieb z.B. die IAI ('Islamic Army of Iraq') am 18.Dezember 2007 :
Nach einem Ruf unserer Unterstützer und Brüder in Samarra starteten Mujahedeen der IAI einen segensreichen Angriff in der Region Samarra und waren dadurch in der Lage, zehn Gefangene zu befreien. Sie wurden zuvor nach einem Überfall auf ihre Basis im Shaykh Mohammed Distrikt südlich Samarras von Al-Qaida festgenommen.
Die 'Iraqi Jihad Union' schrieb am 14.September 2007:
Verschiedenste Individuen der ISI [Islamic State of Iraq -Al Qaida] sind verantwortlich für die Tötung von Kommandeuren und Kämpfern unserer Brigade in der Diyala Provinz - speziell in Baqubah, Al-Qatoun und Mahbubiyah. Sie wurden getötet und ihre Leichen verstümmelt. Was es noch schlimmer macht, sie gruben ihre Leichen aus den Gräbern aus, enthaupteten sie und stellten sie auf ihren Fahrzeugen zur Schau, während sie damit durch die Stadt fuhren. Die ISI tötete sogar die Frauen und Kinder unserer Männer.
Am 10.Oktober 2007 schrieben die '1920 Revolution Brigades' in Bezug auf Al-Qaida:
Liebe Brüder... ihr solltet wissen, dass eine Schlange einen Kopf und einen Schwanz hat. Der Kopf sind die ungläubigen amerikanischen Besatzer, ihre Verbündeten und ihre Agenten - der Schwanz ist euer eigener Nachbar, der von den Prinzipien des Islam abgekommen ist und sich stattdessen entschieden hat, sich vom Feind benutzen zu lassen.
'Hamas in Iraq' schrieb am 2.Oktober 2007:
Später verbeitete sich der Konflikt bis nach Falludschah, wo das Al-Qaida Netzwerk unseren Bruder Shaykh Omar Said Huran tötete, unseren Bruder und Anführer Shaykh Omar Mahmoud al-Falaih und unseren Bruder und Anführer Abu Ayyuv al-Shaijlawi. Zusätzlich töteten sie  viele ehrenhafte Männer und islamische Geistliche der Stadt. In dem Vorort von Falludschah, in Ameriyyat al-Fallujah, entschlossen sich fünf Klans des Albo Issa Stammes, sich gegen die Unterdrückung durch Al-Qaida zu erheben. Sie entschlossen sich, sich und ihre Kinder gegen die ungerechtfertigten Attacken Al-Qaidas zu verteidigen. Al-Qaida erhöhte drastisch die Anzahl der Entführungen und Folteraktivitäten in diesem Gebiet und schoss sogar Raketensalven auf friedliche Dörfer ab. Bei einem Vorfall schossen sie mehrere Raketen während der Freitagsgebete ab. Die einzigen Leute, die dabei getötet wurden, waren Frauen und Kinder, da alle Männer in der Moschee waren. Sie töteten auch Shaykh Shaukat al-Ani, der erst Monate zuvor aus dem Gefängnis der Besatzer befreit wurde. Anschließend attackierten sie Ameriyyat mit einer Autobombe, vollgepackt mit Chlorgas-Kanistern. (...)

Schließlich wollen wir euch darüber informieren, dass das Al-Qaida Netzwerk Leute dazu gebracht hat, die Besatzungskräfte im Vergleich dazu als human und gnädig zu betrachten.
Im irakischen Widerstand gegen die Besatzung weiß man also sehr genau, dass Al-Qaida objektiv den Interessen der Besatzer dient. Und bei den Besatzern dürfte man auch sehr genau wissen, wie dienlich Al-Qaida sowohl zur Legitimation der eigenen Anwesenheit als auch zur Schwächung des Widerstands gegen diese Anwesenheit ist. Würde es Al-Qaida im Irak nicht geben, man hätte sie aus Sicht der Besatzer erfinden müssen.


(Ende Teil 1/2 - Teil 2 beschäftigt sich mit Beispielen von Terror-Operationen, die von den Besatzern unter falscher Flagge durchgeführt wurden).

1 Kommentar: