Dies ist ein Gastbeitrag von Lampadia - Teil 2 von 2 - Teil 1 hier
Denn bereits im ersten Kapitel wird auch hier auf Spiegel Online als Quelle verwiesen. Medienberichte als Quelle für Wissenschaftler und nachrichtendienstliche Recherche erscheint mir ein Armutszeugnis zu sein. Darüber hinaus gehen noch weitere internationale Medien in die Erkenntnisgewinnung dieser Studie ein (Times, Turkishdailynews, NYTimes u.v.m.). Die Ausführungen in Bezug auf die IMU bzw. IBU sind im Großen und Ganzen nicht zu beanstanden, auch wenn aus Vermutungen schnell mal Tatsachen werden. Andererseits ist die IMU wesentlich besser dokumentiert, als zahlreiche andere mutmaßliche Terrororganisationen. Interessant wird es erst, wenn die IJU in den Fokus der Studie kommt. Denn hier wird die Quellenlage bekanntlich erheblich dünner. Und hier kommt eine neue Beweisführung ins Spiel, die sich im gesamten Internet nachrecherchieren lässt. Versucht man wissenschaftliche oder zumindest nachvollziehbare Erkenntnisse über die IJU zu erhalten, wird immer wieder auf eine Studie verwiesen: auf Ronald Sandees „The Islamic Jihad Union (IJU)“. Aber dazu später mehr. Die gesamte Entstehungsgeschichte wird hier beschrieben nach Sandee. Was letztlich nichts anderes bedeutet, als dass die Studie aus Norwegen wiederum kaum Wert hat, da sie sich in allen wichtigen Punkten auf eine andere Studie bezieht. Und wie unseriöse Belegführung aussieht, zeigt die Studie dann auch gleich noch. Sie führt zwar den ehemaligen britischen Botschafter Usbekistans, Craig Murray, an, widerlegt ihn aber zirkulär damit, dass ja die Sauerlandgruppe festgenommen wurde und somit die Existenz der IJU belegt sei. Da aber nicht einmal die Versuchs-Terroristen aus dem Sauerland selber wussten, dass sie bei der IJU im Trainingscamp waren, ist diese zirkuläre Schlussfolgerung unzulässig. Hier würde man schlichtweg die Behauptung deutscher Geheimdienste übernehmen, dass dies eben die IJU gewesen sei.
Wie hätte es anders sein können, beruft sich auch die Studie der Norweger auf die mysteriöse Seite sehadetvakti.com. Es folgen weitere Belege aus öffentlichen Medien von Asia Times über immer wieder Spiegel Online. Die prominente Rolle von Spiegel Online und allem voran Yassin Musharbash sollte man in einem anderen Artikel mal verfolgen. Die Beweisführung ist also auch hier äußerst dünn und wissenschaftlich nicht zu verwerten, bestenfalls ist dieses alles als Hörensagen einzustufen. Neu ist dann allerdings die Interseite sehadetzamani.com. Von der Aufmachung unterscheidet sich diese kaum von der verloren gegangenen Seite sehadetvakti.com. Es ist wohl anzunehmen, dass dies die Nachfolgeseite darstellt. Auch hier „veröffentlicht“ die IJU verschiedenste Meldungen. Aber genauso wie auf der Vorgängerseite ist es nicht möglich, irgendeine Meldung zu verifizieren, geschweige denn festzustellen, ob die IJU wirklich irgendetwas mit dieser Seite zu tun hat. Oder um es einmal mit Craig Murray zu sagen: „What would it prove anyway? I could get up a posting somewhere claiming to be Santa Claus and taking responsibility.”
Für diese Studie lässt sich also abschließend sagen, dass auch hier wieder vornehmlich Medienberichterstattungen als Quellen verwendet wurden. Dazu kommen als „Primärquellen“ die obskuren Internetauftritte der türkischen Dijhadisten-Seiten. Selbstverständlich kann es sein, dass die IJU existiert, irgendwo in der Nähe von Mir Ali in Pakistan. Dass sie dort ein Lager hat, in dem sie fanatisierte junge Männer ausbildet. Genauso gut kann es aber auch ein Lager unter Führung irgendwelcher Geheimdienste sein, um sich ein eigenes Bedrohungsszenario aufrecht zu erhalten. Zwar wird immer wieder behauptet, es sei so unglaublich schwer Informanten oder sogar Agenten in diesen Organisationen unterzubringen, aber gerade die Sauerlandgruppe zeigt doch, dass dem nicht so ist. Und wenn man es mit etwas Abstand betrachtet und sich anschaut, wie lange es islamistische „Terrororganisationen“ schon gibt, dann dürften sich die Geheimdienste auf diese Organisationen spätestens seit dem Algerienkrieg der Franzosen eingestellt haben. Insofern könnte lediglich die Entstehungsgeschichte der IJU weiteren Aufschluss geben, mit was für einer Art von Organisation man es hier zu tun hat. Und genau hier hat niemand genaue Informationen. Alle verweisen auf Ronald Sandee.
Und Ronald Sandee arbeitet für die NEFA Foundation. Das ist neben Intel Center und SITE [siehe auch hier], die dritte größere Organisation in den USA, die uns alle mit Informationen bezüglich des islamistischen Terrorismus aus erster Hand versorgen. Das geht sogar soweit, dass die NEFA Foundation behauptet, sie hätte Chat-Interviews mit Führern der IJU und IMU abgehalten. Ronald Sandees Studie stellt nun also die Hauptquelle zur IJU dar, auf die sich andere Studien beziehen. Wir kommen den Primärquellen also näher. Auch hier beginnt es selbstverständlich mit der angeblichen Abspaltung der IJU von der IMU. Die Quellenlage ist auch wesentlich interessanter als angenommen. Hier wird nicht etwa auf Primärquellen der IJU verwiesen, sondern auf sekundär und tertiär Quellen. Namentlich auf den Verfassungsschutzbericht 2007 oder auf den Europol Terrorismus Trend Report 2008. Langsam muss man sich allerdings fragen, warum selbst Nachrichtendienste und Ermittlungsbehörden erst nach der Festnahme der Sauerlandgruppe über die IJU berichten können. Wäre es nicht deren Aufgabe, solche Terrorgruppen im Vorfeld zu ermitteln und zu überwachen? Aber da ist die IJU immerhin in guter Gesellschaft. Al Qaida erscheint in den deutschen Verfassungsschutzberichten schließlich auch erst ab 2002. Und das, obwohl diese gefährlichste alle Terrorgruppen angeblich doch schon seit Anfang der 90er Jahre ihr Unwesen treibt.
Wenn also die Studie der NEFA Foundation als wichtigste Quelle für die Existenz der IJU angeführt wird und diese sich wiederum auf Berichte aus den Jahren 2007 und 2008 nach Ermittlungen aus Deutschland beziehen, dann haben wir wieder mal eine zirkuläre Belegführung, die an Beweisführung a la Erich von Däniken erinnert oder die Verschwörungstheoretikern vorgeworfen wird. Momentan kann man jedoch nur feststellen, dass sich Behörden, Wissenschaftler und sogenannte Terrorexperten genau derselben Methode bedienen. Man zitiert sich einfach gegenseitig und führt sich gegenseitig als Beleg an. So verweist die Nefa Foundation zum Beispiel auf Guido Steinberg von der SWP.
Aber womit belegt die NEFA Foundation nun die Existenz der IJU? Ausgehend von den Terroranschlägen der IJU, die in Usbekistan stattgefunden haben sollen? Und hier kommt der entscheidende Moment: sie belegen die Existenz der IJU und der ihnen vorgeworfenen Terroranschläge mit den Medienberichterstattungen aus Usbekistan!
Und das ist kein Witz. Da wird auf den „Uzbek Televison first channel“ verwiesen, auf den „second channel“, auf „Uzbek radio first program“, Tashkent, unglaublicherweise sogar auf eine Ansprache von Diktator Islam Karimov. Das wäre so, als würde man Ansprachen von Adolf Hitler als Beleg für den Überfall der Polen auf den Sender Gleiwitz heranziehen. Dann wird auch noch „Radio Free Europe“ als Quelle herangezogen. Von unabhängigen, verifizierbaren Quellen kann hier also keine Rede sein. Glaubwürdig sind diese Quellen nicht im Geringsten. Dazu kommen dann wieder zahlreiche internationale Medien. Die dürften ihre Informationen allerdings auch von offiziellen usbekischen Stellen bezogen haben. Dann wird auch noch die offizielle Untersuchung der Attentate in Tashkent als Beleg angeführt. Das hat mit Wissenschaft oder nachvollziehbarer Analyse überhaupt nichts mehr zu tun, sondern ist schlichtweg Propaganda. Hier wird die Behauptung einer Diktatur zur Beweisführung herangezogen. Dadurch, dass andere Studien sich auf die Studie der NEFA Foundation beziehen, wird so durch eine Behauptung eines totalitären Regimes, eine Tatsache konstruiert.[1]
Neben diesen Quellen werden auch hier wieder als einzige Primärquellen die türkischen Internetseiten angeführt. Hier werden sie allerdings zu den offiziellen Seiten der IJU gemacht. Das ist jedoch völlig abwegig und lässt auch diese Studie in keinem guten Licht erscheinen. Diese Art der Beweisführung durchzieht sich allerdings durch die gesamte Untersuchung. Da wird ein simpler Forumseintrag auf anti-imperialist.info auch mal schnell zu einem „IJU communiqué“ gemacht. Dieser Eintrag ist übrigens identisch mit einer Meldung auf sehadetvakti.com und ist dementsprechend kaum als Primärquelle zu verwenden.
Letztlich ist auch diese Studie nichts wert, da sie zum einen lediglich die offiziellen Meldungen aus Usbekistan anführt, zum anderen ebenso wie alle anderen lediglich Medienberichterstattungen zusammenfasst, als würden diese täglich absolute Wahrheiten produzieren.
Welche Beweise bzw. Erkenntnisse gibt es zusammenfassend also über der IJU? Es gibt die offiziellen Aussagen aus Usbekistan. Es gibt zahlreiche Meldungen in verschiedensten Medien. Und es gibt als einzige Primärquelle zwei dubiose Internetseiten auf Türkisch. Die mittlerweile zahllosen Videos können als Beweis für die Existenz der IJU ebenso wenig herhalten wie Medienberichte. Sie sind nicht als authentisch zu identifizieren. Es sei denn man schließt sich der zirkulären Beweisführung der vorgestellten Studien sowie der Bundesregierung und Bundesanwaltschaft an: Die IJU hat sich zu Terroranschlägen bekannt, also muss es sie auch geben. Was beweist deren Existenz? Die IJU selber mit ihren Bekennerschreiben und Videos im Internet.
Aus wissenschaftlicher Perspektive lässt sich allerdings nur sagen, dass die Quellenlage völlig unzureichend ist, um überhaupt irgendetwas Endgültiges über die IJU feststellen zu können. Keine einzige Behauptung über die IJU ist zu verifizieren. Ausgangspunkt ist und bleibt die angebliche Gründung und Abspaltung von der IMU. Und da muss man sich voll und ganz auf die Behauptungen Usbekistans verlassen bzw. auf die Behauptungen von Nachrichtendiensten, die ihre „Erkenntnisse“ munter an die Medien „lancieren“, welche diese unhinterfragt veröffentlichen. Die Auslassungen der Sauerlandgruppe vor Gericht sind ebenfalls zur Beweisführung unzulässig, da sie nicht einmal wussten, dass sie Teil der IJU sind. Insofern können sie zwar Informationen zu einer Terrororganisation machen, aber nicht zur IJU. Ebenso hätten sie auch in einem Trainingscamp der Jundullah oder bei sonst irgendwem gelandet sein können. Erst die Schlussfolgerungen und Interpretationen der Nachrichtendienste konstruierte den IJU Zusammenhang.
So oder so hat man es bei der IJU offensichtlich mit einem Konstrukt zu tun. Da es keine nachvollziehbaren Belege gibt, konstruieren Nachrichtendienste, Medien, Ermittlungsbehörden und Politiker das Bild einer Terrorgruppe, die angeblich mit Taliban und Al Qaida zusammenarbeiten soll. Die entschlossen ist, zahlreiche Attentäter nach Deutschland zu schleusen und die möglichst viele Menschen töten will. Wenn allerdings Videos und Internetartikel auf dubiosen Seiten künftig zur Beweisführung ausreichen sollen, dann kann letztlich alles behauptet werden. Ein Video ist schnell gedreht und Zeilen sind schnell getippt. Nur ein Beweis ist das letztlich nicht. Das sollte den Richtern im Sauerlandverfahren auch klar sein. Schließlich haben sich zu anderen Anschlägen auch schon dubioseste Gruppierungen bekannt.
Meiner Ansicht nach ist das auffälligste an der IJU, dass sie im Gegensatz zu anderen islamistischen Terrororganisationen vornehmlich auf Türken als „Rekruten“ abzielt und sich aus unerfindlichen Gründen Deutschland als Hauptgegner ausgesucht hat. Bleibt die Frage warum? Und letztlich natürlich: wer steuert diese Gruppe nun wirklich? In diesem Zusammenhang sollte man sich dieses FBI-Whistleblower Interview durchlesen. Das könnte zur Erhellung des Phänomens IJU beitragen.
Danke an Lampadia für den Beitrag!
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Anmerkungen:
[1] Es sei hier noch einmal an die Recherche von Monitor erinnert, die zu dem Schluss führte, dass die IJU vom usbekischen Geheimdienst gegründet wurde. Zumindest lässt sich daraus schließen, dass man die Stellungnahmen der usbekischen Behörden nicht einfach als beweiskräftig anführen kann.
'Monitor'-Beitrag
Der Link zur Ronald Sandee Studie funktioniert nicht!
AntwortenLöschenEin großartiger Blog! Weiter so!
Danke für den Hinweis. Jetzt müsste alles funktionieren.
AntwortenLöschenLieber Pampadia,
AntwortenLöschenein interessanter Beitrag. Die kritische Hinterfragung unter dem Aspekt der Wissenschaft ist wohllöblich! Allerdings habe ich mir unter diesen Aspekt von Ihren Zeilen mehr erwartet: ihr wissenschaftliches Forschungsdesign ist schlichtweg nicht vorhanden.
Unabhängig davon entdecke ich einen Zirkelschluss: Jeder unabhängige Wissenschaftler hat die Aufgaben die Quellenlage kritisch zu hinterfragen, aber was gibt uns heute das Recht, so genannte offizielle Belege mehr Vertrauen zu schenken als jene der Geheimdienste, Journalisten, oder diversen Medienakteuren mit entsprechender Reputation? Im Grunde wird es DIE eine Quelle geben, eine investigative Kraft, die den Durchbrucht schafft. Das hat der Fall Jean-Charles Brisard gezeigt. Wie kann ich heute wissenschaftlich Quellen trauen, ohne Zugang zu den nötigen Informationen zu bekommen? Sind die Informationen vollständig, die als Ermittlungsunterlagen deklariert werden?
Wenn ich persönlich mir die Indizien ansehe, spricht einiges erstmal dafür, dass es die IJU gibt. Das die Führung infiltriert ist von Geheimdienstlern nehme ich fast mal an. Primärquelle Ikrom Yakubov. Ob es die Mitglieder der Sauerlandzelle gemerkt haben und wie die Quelle einzuschätzen ist, vermag ich nicht zu beurteilen.
Aus Netzwerkanalytischer SIcht ist die Querverbindung zur Al-Qaida vielleicht fürden einen oder anderen interessant. Laut Medienberichten soll dies über den Mittelmann Mevlüt K. passiert sein, der im übrigen von türkischen, amerikanischen und deutschen Geheimdiensten angeworben worden ist. Hier schliesst sich also der Kreis.
Letztlich wird wohl niemand ohne ausreichenden Zugang zur Datenlage wissen, welche Intention die Geheimdienste verfolgen. Unterwanderung der Netzwerkstrukturen zur Spionage oder bewusste Vortäuschung terroristischer Gewaltakte!?!?
Letzteres halte ich bei einer Beteiligung der deutschen Geheimndienste für fraglich, da die Sauerlandzelle ja hauptsächlich hier agierte. Aber ich lasse mich auch gerne von einem Experten eines Besseren belehren & hoffe daher auf konstruktive Antworten.
George Orwell