Donnerstag, 5. November 2009

Al-Qaida: Kriegsgrund reloaded!

Zumindest einige seiner Wahlversprechen scheint US-Präsident Barak Obama zu halten. Im Wahlkampf hatte er versprochen, den Krieg in Afghanistan zu eskalieren. Von Obamas aggressivem Eintreten für militärische Interventionen in Pakistan, distanzierte sich selbst der republikanische Präsidentschaftskandidat John McCain. Folgerichtig wurde unter Obama die Anzahl der Einsätze unbemannter Drohnen drastisch erhöht. Bereits jetzt sind unter seinem Kommando so viele Killer-Drohnen ausgeschwärmt, wie unter der ganzen Amtszeit von George W. Bush. Ca.750 bis 1000 Menschen wurden bei diesen Angriffen auf pakistanischem Gebiet getötet. Während sich die pakistanische Armee schwere Gefechte mit den Taliban in Süd-Waziristan liefert, wird eine weitere Ausweitung von US-Interventionen in Pakistan propagandistisch vorbereitet.

Der Angriff auf Afghanistan Ende 2001 wurde damit begründet, dass Afghanistan Al-Qaida einen "sicheren Hafen" geliefert habe. Dieser Hafen hat sich nun nach Pakistan verlagert. Und so kam die kürzliche Meldung über den Fund von Ausweisen mutmaßlicher Al-Qaida-Terroristen wie gerufen.
Pakistanische Truppen, die die Berge Süd-Waziristans durchstreiften, haben verblüffende Beweise gefunden,  die eine direkte Verbindung zwischen dem gesetzlosen Stammesgebiet und den Al-Qaida Attacken in Amerika und Europa aufzeigen. (Quelle)
Unter den "verblüffenden Beweisen" befand sich auch der Pass des kurz vor dem 11.September 2001 aus Deutschland verschwundenen Said Bahaji, der als Mitglied der Hamburger Zelle die 9/11-Anschläge mit vorbereitet haben soll. Ob die Dokumente wirklich jetzt in Süd-Waziristan gefunden wurden, oder sich schon länger in der Hand des pakistanischen Militärs befinden - schließlich hat der Geheimdienst ISI eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit Taliban und Al-Qaida-Aktivisten - bleibt Spekulation. Wie auch immer, dass pakistanische Militär betrachtete die Präsentation der verblüffenden Beweise als Geste des guten Willens nach dem Motto: "Seht her, wir unternehmen etwas gegen die Terroristen". Keinesfalls als Geste des guten Willens hingegen wurden die daraufhin erfolgte Äußerung der US-Außenministerin Hillary Clinton aufgefasst.
 "Ich finde es schwer zu glauben, dass niemand in ihrer Regierung weiß, wo die Qaida-Chefs sich aufhalten, und dass sie nicht zu fassen sind, wenn man es doch wirklich will." (Quelle)
Schwer zu glauben ist es, dass ausgerechnet Hillary Clinton solche Töne von sich gibt. Denn es war ihr Ehemann und damaliger US-Präsident Bill Clinton, und ihre Vorgänger im US-Außenministerium, die eins um andere mal die Chance "vertan" haben, Bin Laden zu schnappen. Ein kürzlich in der 'Welt' erschienener Artikel über das Buch von Osamas Sohn Omar Bin Laden enthält einen Hinweis auf eine dieser Chancen:

Zu dieser Zeit hatte Osama, der Sohn eines reichen saudischen Bauunternehmers, bereits sein Terrornetzwerk al-Qaida begründet und wurde inzwischen auch der Regierung des Sudan unangenehm. Khartum bot den USA seine Auslieferung an, erinnert die amerikanische Publizistin Jean Sasson, die mit Omar und Najwa Bin Laden zusammen das Buch geschrieben hat. Aber weil es dort keinen Haftbefehl gegen ihn gab, konnte Osama Bin Laden nach Afghanistan ausreisen. (Quelle)
Es stimmt zwar, dass damals noch kein US-Haftbefehl gegen Bin Laden vorlag. Den stellte die USA erst am 16.Dezember 1998 aus, wegen der Anschläge am 7.August 1998 auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania. Der erste internationale Haftbefehl gegen Bin Laden wurde übrigens am 16.März 1998 von Libyen ausgestellt. Bin Laden wird von den libyschen Behörden verdächtigt, in einem Mord an einem deutschen Ehepaar, welches für den Verfassungsschutz tätig war, involviert zu sein.

Aber ob der fehlende Haftbefehl wirklich hinreichend erklären kann, warum hier nicht zugegriffen wurde? Seit wann läßt man sich in der US-Außenpolitik von solchen Formalitäten beeindrucken? Schließlich ließ Clinton auch die sudanesische Al-Shifa Fabrik am 20. August 1998 bombardieren, ohne dass es einen Haftbefehl oder irgendein anderes Mandat dafür gab. Die US-Regierung behauptete, die Chemie-Fabrik helfe Bin Laden, Massenvernichtungswaffen herzustellen. Doch die Behauptungen erwiesen sich allesamt als falsch. Tatsächlich war die Al-Shifa Fabrik das wichtigste pharmazeutische Werk Sudans, ihre Zerstörung wurde zu einer medizinischen Katastrophe. Werner Daum, von 1996 bis 2000 deutscher Botschafter in Sudan, fasste die Folgen so zusammen:
Es ist schwer einzuschätzen, wie viele Menschen in diesem armen afrikanischen Land als Konsequenz der Zerstörung der Al-Shifa Fabrik gestorben sind, aber einige Zehntausend ist eine begründete Annahme. Die Fabrik produzierte einige der Basis-Medikamente, wie sie auf der Liste der Weltgesundheitsorganisation stehen, und deckte 20 bis 60 Prozent des sudanesischen Marktes ab und 100 Prozent des Marktes für intravenöse Flüssigkeiten. Es dauerte mehr als drei Monate, bis diese Produkte durch Import ersetzt werden konnten. Es waren natürlich die Armen und Verletzten, die unter der Zerstörung der Fabrik litten, und nicht die Reichen. (Quelle)
Dieses Schicksal wäre vielen erspart geblieben, hätte Clinton die Angebote der sudanesischen Regierung angenommen, Bin Laden auszuhändigen. Ein fehlender Haftbefehl dürfte nicht der eigentliche Grund gewesen sein. Denn die US-Regierung zeigte jahrelang auch kein Interesse an den umfangreichen Geheimdienst-Informationen aus Sudan über das Bin Laden-Netzwerk, obwohl sich viele derer, mit denen sich der sudanesische Geheimdienst beschäftigte, auf der "Most-Wanted"-Liste der USA befanden. Immer wieder stießen die sudanesischen Behörden auf blankes Desinteresse bei den Amerikanern. Mehrmals versuchten sie daher, über private Kontakte ihre Informationen mitzuteilen. Nach dem Auftauchen beweiskräftiger Dokumente, beschäftigte sich 'Vanity Fair' eingehender mit Clintons "Versagen":
Der 11.September hätte vielleicht verhindert werden können, wenn die USA Sudans Angebot, seine geheimdienstlichen Akten über Osama Bin Laden und die wachsende Al-Qaida-Bedrohung mit den USA zu teilen, angenommen hätte.(..)
Sudans [Geheimdienst] Mukhabrat sammelte von Anfang bis Mitte der 90er Jahre ausgiebige Informationen über Bin Laden und seine führenden Leute im Herzen des Al-Qaida-Terror-Netzwerkes.(...) Einige der Akten identifizierten Individuen, die eine zentrale Rolle in den Selbstmord-Anschlägen auf die US-Botschaften in Tansania und Kenia im August 1998 spielten. Andere zeigten die Hintergründe und Bewegungen von Al-Qaida-Agenten, die in direkten Zusammenhang mit dem Verbrechen des 11.September gebracht werden.
Von Herbst 1996 bis nur Wochen vor den Attacken 2001, unternahm die sudanesische Regierungen zahlreiche Anstrengungen, ihre Informationen mit den USA zu teilen - alle wurden zurückgewiesen.

Bei verschiedenen Gelegenheiten wollten führende FBI-Agenten dieses Angebot annehmen. Aber sie wurden überstimmt von Präsident Clintons Außenministerin Madeleine Albright und ihrer Ministerialdirektorin für Afrika, Susan Rice. Beide wollten sich zu dieser Sache auch nach mehrmaliger Anfrage nicht äußern.(...)

Hätten US-Behörden die Mukhabarat-Akten untersucht, als sie 1996 erstmals die Gelegenheit dazu hatten, wären die Aussichten, Al-Qaidas nachfolgenden Attacken zu verhindern, wesentlich größer gewesen.(...)

Obwohl Sudan seine Bereitschaft zu kooperieren unter Beweis stellte, schien es, als hatte die USA  kein Interesse an dem, was sie von Sudan hätte lernen können.(...)

Der US-Botschafter Petterson sagte: "Meiner Erinnerung nach, wenn ich Repräsentationen über terroristische Organisationen machte, dann tauchte Osama Bin Laden darin nicht auf. Wir in Khartum waren nicht wirklich über ihn besorgt." (...) (Quelle)
Die sudanesicshen Akten enthielten auch Informationen über Fazul Abdullah Mohammed, mutmaßlich in die Anschläge auf die Botschaft in Kenia verwickelt.
Wenn FBI-Beamte das Angebot von al-Mahdi [Geheimdienst-Chef] im Februar [1998] angenommen hätten, dann hätten sie auch über darüber Bescheid gewusst. Und hätten an einem Punkt seiner anschließenden mörderischen Odyssee....einschreiten und die Verschwörung zerschlagen können.
Eine Akte beschäftigte sich mit Mamdouh Mahmoud Salim, der zwischen 1995 und 1998 öfters nach Deutschland reiste um Mamoun Darkanzali zu treffen, der der Hamburger Zelle zugerechnet wird und über den ich bereits hier schrieb.

Begründet wurde die Nicht-Kooperation mit den sudanesischen Diensten mit deren angeblicher Nicht-Vertrauenswürdigkeit, schließlich warf die USA dem Sudan damals vor, Terrorismus zu unterstützen. Doch in Sudan tat man alles, um die Vertrauenswürdigkeit herzustellen:
Botschafter Mohamed übermittelte ein offenes Angebot: die CIA und das FBI können ein gemeinsames Untersuchungsteam schicken, dass sich frei im ganzen Land bewegen kann. "Ich pflegte zu sagen, 'Geht überall hin, nimmt ein Flugzeug von Khartum und sagt, wo ihr hin wollt, sobald wir in der Luft sind'." Das Angebot wurde nicht angenommen. Im Februar 1997 wurde das Angebot in einem Brief von Präsident al-Bashir an Clinton erneuert.. Al-Bashir schlug eine Mission vor, "die damit beauftragt wird, Behauptungen zu untersuchen, wonach die sudanesische Regierung Terroristen trainiert oder Unterkunft gibt", mit "freier Bewegung und Kontaktaufnahme, und ungehinderten Zugang zu allen gewünschten Orten." Clinton hat nie geantwortet. (Quelle)
Dass ein fehlender Haftbefehl als Begründung nur vorgeschoben war, legt nicht nur die Vernunft nah, sondern auch dieses Zitat:
Eine US-Geheimdienst-Quelle in der  Region nannte die verpasste Gelegenheit eine Schande. "Wir entführen kleinere Drogen-Zare und bringen sie zurück in Leinen-Säcken. Jemand wollte nicht, dass das [mit Bin Laden] passiert." (Quelle)
Wenn sich Hillary Clinton  über die Anwesenheit von Al-Qaida-Kämpfern in Pakistan beklagt, sollte sie auch nicht vergessen, wie diese denn überhaupt von Afghanistan nach Pakistan gekommen sind. Sie wurden laut den Enthüllungen des renommierten Journalisten Seymour Hersh eingeflogen, unter dem Schutz der USA. 'The Times' berichtete:
Die Vereinigten Staaten genehmigten insgeheim Rettungsflüge durch Pakistan, durch die Taliban-Führer und Al-Qaida-Kämpfer aus der belagerten nord-afghanischen Stadt Kundus flüchten konnten, bevor die Stadt eingenommen wurde, berichtet heute das New Yorker-Magazin.


US Geheimdienstbeamte und Militär-Offiziere sagten, dass die Bush-Administration die Flüge genehmigt hat und dem US Central Command befahl, einen speziellen Luftkorridor einzurichten, um eine sichere Evakuierung pakistanischer Soldaten und Geheimdienst-Leuten zu gewährleisten, die durch die Siege der Nordallianz fest saßen.

Was als begrenzte Evakuierung gedacht war, geriet offenbar außer Kontrolle. Als unbeabsichtigte Konsequenz schaffte es eine unbekannte Anzahl von Taliban und Al-Qaida-Kämpfern, sich dem Exodus anzuschließen, berichtet das Magazin.

Bei dem Versuch, pakistanische Militär-und Geheimdienstangehörige, die auf Seiten der Taliban kämpften, aus dem von der Nordallianz eingekesselten Gebiet zu evakuieren, sind dann eben noch einige Tausend Taliban und Al-Qaida-Kämpfer in die Flugzeuge mit aufgesprungen. Alles ein großes Missgeschick also. Oder etwa nicht?
Der CIA Field Commander des "Jawbreaker"-Teams in Tora Bora, Gary Berntsen, sagt, dass er und  andere US-Kommandeure wussten, dass sich Bin Laden unter den Hunderten fliehenden Al-Qaida und Taliban-Mitgliedern befindet. Berntsen sagte, dass er definitive Aufklärung [intelligence] darüber hatte, dass sich Bin Laden in Tora Bora aufhielt - Geheimdienst-Agenten hatten ihn aufgespürt - und gefasst werden konnte. "Er war dort", sagte Bernsten zu NEWSWEEK.(...)

In seinem Buch namens "Jawbreaker" kritisiert der dekorierte CIA-Offizier Donald Rumsfelds Verteidigungsministerium, der CIA und den Special-Forces Teams des Pentagon nicht genug Unterstützung in den letzten Stunden [der Schlacht] von Tora Bora gegeben zu heben, sagte Berntsens Anwalt, Roy Krieger. (...) Das unterstützt andere Berichte, inklusive den des Militär-Autors Sean Naylor, der Tora Bora als ein "strategisches Desaster" bezeichnete, da sich das Pentagon geweigert hatte, ein Spalier aus konventionellen Kräften einzurichten, um die Flucht von Al-Qaida und Taliban-Mitgliedern zu unterbrechen. (Quelle)
Hillary Clintons Äußerungen sind allerdings kein persönlicher Ausrutscher ihrerseits, sondern Teil einer Strategie zur Legitimation US-Amerikanischer Militärinterventionen in Pakistan. Die Publikation 'Foreign Affairs' des äußerst einflussreichen 'Councill of Foreign Relations' untermauert diese Strategie in einem kürzlich veröffentlichten Artikel. Die Argumentationsweise ist simpel und daher um so erfolgversprechender: Taliban und Al-Qaida seien nicht zu trennen, sondern auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Auch könne nicht wirklich zwischen pakistanischen und afghanischen Taliban unterschieden werden - was US-Geheimdienste realistischerweise aber durchaus machen - und folglich könne man auch keinen Krieg gegen die Taliban und Al-Qaida in Afghanistan gewinnen, ohne auch in Pakistan diesen Krieg zu führen. Auch wenn es "moderate" Taliban gebe, die Taliban würden sich niemals von Bin Laden und Al-Qaida trennen. Als Beweis wird Taliban-Anführer Mullar Omar zitiert:
Gefragt, ob er Bin Laden aushändigen würde, sagte Mullar Omar in einem Interview mit 'Voice of America' am 21.September 2001: "Wir können das nicht tun. Wenn wir es täten, würde es bedeuten, das wir keine Muslime sind....dass der Islam am Ende wäre. Wenn wir Angst vor einer Attacke hätten, hätten wir ihn bereits das letzte mal, als wir bedroht und angegriffen wurden, aufgeben können."
Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit. Denn die Taliban zeigten sich nach 9/11 durchaus bereit, Bin Laden auszuweisen. Allerdings unter einer Bedingung: sie wollten für seine Täterschaft im Zusammenhang mit 9/11 Beweise sehen. Die USA wollte sie ihnen aber nicht zeigen, obwohl sie offenbar über diese verfügen. Zumindest wenn man dem damaligen britischen Premierminister Tony Blair Glauben schenkt. Dieser zeigte sich von den "absolut unbestreitbaren Beweisen" überzeugt und unterstützte daher den Angriff auf Afghanistan. Wenn es damals wirklich um Bin Laden ging, warum wurden diese Beweise nicht den Taliban gezeigt? Weil diese vielleicht ihr Wort gehalten und Bin Laden ausgeliefert hätten? Wie hätte man dann aber der Öffentlichkeit den schon vor 9/11 geplanten Krieg verkaufen können? 'Foreign Affairs' verschweigt auch, dass die Taliban schon vor 9/11 anboten, Osama Bin Laden auszuliefern. Der Artikel verschweigt auch, dass die Taliban die USA vor dem 11.September 2001 vor Anschlägen gewarnt haben. Und er verschweigt auch die Tatsache, dass sich die Taliban in den letzten Jahren wiederholt von Anschlägen im Ausland - und damit von Al-Qaida - distanziert haben.
Das alles wird aber nichts daran ändern, dass man das Taliban-Al-Qaida-Schreckgespenst zur Legitimation der Eskalation in Afghanistan und Pakistan weiterhin tanzen läßt. Fazit in den 'Foreign Affairs':
Da die Taliban Al-Qaida niemals aufgeben werden, haben die USA keine andere Wahl, als Al-Qaida zu vernichten. Und da man die Taliban nicht bedeutungsvoll spalten oder kooptieren kann, hat Washington, unglücklicherweise, keine wirklich Option außer sich auf einen langen Kampf in der Region vorzubereiten.

Keine guten Zukunfts-Aussichten also für die Bevölkerung in Afghanistan und Pakistan - und auch Iran nicht zu vergessen



2 Kommentare:

  1. Al-Quida gibt es nicht, noch gab es je Al-Quida

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  2. Ein interessanter Kommentar von Greg Palast zum Thema:
    http://www.alternet.org/module/printversion/143767

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