Mittwoch, 30. September 2009

Al-Qaida Videos: Mit der Lizenz zum Verbreiten

Während in Deutschland ein 25-jähriger Türke festgenommen und seine Wohnung durchsucht wurde, weil er das neue Video des mutmaßlichen Al-Qaida-Mitglieds Bekkay Harrach, besser bekannt als "Abu Blahbla Talha der Deutsche", auf Youtube gestellt hat, können sich die Hauptverbreiter von Al-Qaida Propaganda vor polizeilichen Maßnahmen in Sicherheit wiegen. Gemeint ist hier nicht Al-Qaidas Medienabteilung As-Sahab, sondern das US-Amerikanische, Pentagon-nahe Intelcenter.

Das Intelcenter vertreibt Al-Qaida Videos gegen Entgelt, und sorgt dadurch erst dafür, dass sie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werden. Die Vorgehensweise ist dabei stets dieselbe: In Jihad-Foren will Intelcenter neue Propaganda-Videos von Al-Qaida aufgespürt haben. Wo genau es aber solche Videos entdeckt haben will, wird stets verschwiegen. Und damit Al-Qaidas As-Sahab sich die Mühe nicht umsonst gemacht hat - man will ja schließlich die Massen erreichen und dadurch politischen Druck aufbauen - peppelt Intelcenter die Videos massenkompatibel auf. Da werden Bild- und Tonqualität bearbeitet und ab und an auch Untertitel in die Sprache des jeweiligen Zielpublikums angefertigt und eingebaut. Das spart Al-Qaida Zeit und Ressourcen und sichert Arbeitsplätze bei Intelcenter.

Partner des Intelcenters und quasi dessen Vorläufer war das "SITE Institute", welches noch bis Anfang 2008 in den Medien zumeist als Garant für die Echtheit von Al-Qaida Propaganda herhalten durfte.

Al-Qaida Videos: Früher noch mit dem SITE-Logo versehen

Doch nachdem kritische Stimmen öffentlich machten, dass es sich bei diesem Institut in Wirklichkeit nicht um ein Institut handelt und bei den etablierten Medien nachhakten ob der obskuren Quelle, auf die sie sich ständig berufen, wurde SITE aus dem Schussfeld genommen. Seitdem bürgt Intelcenter für Al-Qaida Videos. Und seitdem schmückt das Intelcenter-Logo die Al-Qaida Videos.

Und wenn Bin Laden sich mal wieder - wie kurz vor der Bundestagswahl geschehen - im gewohnten Standbild aus der Gruft zu Wort meldet, und sich währenddessen viele die Frage stellen, ob er überhaupt noch lebt (man beachte das Intelcenter-Logo über Osama),  dann kommt Intelcenter ins Spiel. So schrieb der 'stern':
Wie das amerikanische Intel-Center, zuständig für die Einschätzung derartiger Videos am Freitag mitteilte, rief der Al-Kaida-Chef die Europäer darin auf, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen. Die Europäer sollten "von den Fehlern anderer lernen", heiße es in der als echt eingestuften Botschaft.
Intelcenter ist also zuständig. Aber wie wird man das, zuständig? Wer hat diesen Zustand veranlasst? Bei welcher Behörde muss man die Zuständigkeit für Al-Qaida Videos beantragen? Und woher weiß Intelcenter, was echt ist und was nicht?

Nehmen wir den Fall Bekkay Harrach und sein erstes Drohvideo, das im Januar 2009 unter dem Titel "Al-Qaidas Rettungspaket für Deutschland" als Trilogie auf Youtube (!) erschienen ist und seitdem dort nach wie vor begutachtet werden kann. Von der Aufmachung und Kulisse her scheint es ein ganz normales Al-Qaida Video zu sein, abgesehen davon, dass nun erstmals deutsch gesprochen wird.

Bekkay Harrach alias Abu Talha der Deutsche im Januar 2009

Dennoch kamen Zweifel auf. Obwohl sich Harrach im ganzen Video nur vermummt zeigte, nannte er darin dennoch seinen Klarnamen. Die Vermummung diente also nicht der Verschleierung seiner Identität, auch nicht seines Aussehens, denn Bilder von ihm wurden kurz darauf in den Medien präsentiert. Die Vermummung sollte ihn bedrohlicher wirken lassen. Das war auch bitter nötig, denn seine Ansprache wirkte kaum bedrohlich, vielmehr sorgte sie für Irritationen: War das Satire? War dies ein Akt der Kommunikationsguerilla? So verstanden es zumindest viele in der Youtube-Community, die sich nicht erklären konnten, warum ein Al-Qaida Terrorist über Silberhochzeiten und Primzahlen philosophiert. Harrachs Versuch den Terrorkrieg in mathematische Formeln zu pressen, wobei für Al-Qaida die Formel f(x)= 1/3x³ + 2x² + 2x gelte [dafür bitte Teil 2 der Trilogie auf Youtube anschauen, aus offenkundigen Gründen wird hier nicht direkt verlinkt], wurde von der YT-Community als Aufruf zu weiteren satirischen Beiträgen verstanden. Prompt erschienen ein Dutzend Plagiate, "Abu Silvio der Sachse" und ähnlich nannten sich die Nachahmer.

Selbst Spiegel-Online, wo sonst immer schnell auf den Terror-Zug der Angstmache aufsprungen wird, bewertete das Video vorsichtig:
Die Authentizität des Bandes ist schwer einzuschätzen. Das "al-Sahab"-Logo, gekoppelt mit dem einschlägigen Veröffentlichungsort, sprechen eher dafür, dass es echt ist. Andererseits bleibt völlig unklar, wer "Abu Talha" eigentlich ist. Ob er sich al-Qaida angeschlossen hat, und wenn ja wann, erwähnt er nicht - lediglich, dass es sein Ziel seit 1993 sei, sich "in die Luft zu sprengen".
 (...) In dem Video gibt es neben den Drohungen auch lange und ziemlich wirre Passagen, in denen "Abu Talha" zum Beispiel über die Weltwirtschaftskrise schwadroniert - oder über die angebliche Eigenheit der CDU, sich mit fremden Federn zu schmücken. Insgesamt hinterlässt das Video dadurch einen merkwürdig zerfahrenen Eindruck; nicht alles ist schlüssig und der Sprecher offensichtlich sehr von sich eingenommen.
Andererseits könnte der Umstand, dass offenbar "al-Sahab" das Video produziert hat, im schlimmsten Fall ein Hinweis darauf sein, dass Deutschland verstärkt ins Visier der Terroristen geraten ist.
Mit dem letzten Satz hat man dann aber doch noch die Kurve Richtung Panikmache gekriegt.

Doch wer hinter Harrachs Auftritt ein Satire-Beitrag vermutete, der irrte bzw. hatte die Rechnung ohne Intelcenter gemacht. Im selben Spiegel-Artikel können wir später lesen:
Bis zum frühen Sonntagmorgen hatten sich deutsche Behörden noch nicht zu dem Band geäußert. Das Washingtoner "IntelCenter", ein privates Terrorforschungsinstitut, das auch für die US-amerikanische und andere Regierungen tätig ist, meldete jedoch zunächst keine Zweifel an der Echtheit an und sprach von der bislang "bedeutsamsten" Ansprache al-Qaidas an Deutschland und "möglicherweise an überhaupt ein europäisches Land".

Anstatt mal bei Intelcenter nachzufragen wie sie denn zu dem Schluss kamen, dass der bis dato unbekannte "Mathematikprofessor" Harrach tatsächlich ein Al-Qaida Adjutant sei, zeigte Spiegel-TV stattdessen eine auf wenige Aussagen zusammengeschnittene und von allen Lächerlichkeiten befreite Version des Videos. Erst mit dieser Kurzfassung ließ sich medial Stimmung machen und im Volk Angst erzeugen. Genau genommen also: die Ziele des Terrorismus ließen sich damit erst umsetzen, denn die Verbreitung von Angst ist unzweifelhaft ein Wesensmerkmal des Terrorismus. Natürlich durchsuchte die Polizei nach der Ausstrahlung nicht die Räumlichkeiten von Spiegel-Online.

Das waren noch Zeiten, als man in Deutschland noch Redaktionsräume durchsuchte und Verfahren einleitete, weil Erklärungen der Rote Armee Fraktion, oder nur Auszüge davon, veröffentlicht wurden. So etwas galt nämlich als Unterstützung für eine terroristische Vereinigung (Paragraph 129 StGb).

Die heutigen Sicherheitsarchitekten aber scheinen weniger die Botschaft der Terroristen zu fürchten, als vielmehr ihr Ausbleiben bzw. ihre Nichtbeachtung. Wie sonst könnte noch jede gescheiterte Existenz, die sinnloses Zeug erzählt, aber dafür eine Kalaschnikow in der Hand hält und vor einem Al-Qaida Logo rumturnt, solche eine weltweite Aufmerksamkeit erlangen?

Weil es vielleicht gewissen Diensten dienlich ist zwecks Durchsetzung des sogenannten Präventivstaats?


Zu guter Letzt sei noch angemerkt, dass das Video, was dem eingangs erwähnten 25jährigen Türken aus Stuttgart eine Hausdurchsuchung bescherte, auch von vielen Mainstream-Medien ins Netz gestellt und verbreitet wurde. Und nach wie vor wird, wie z.B. hier. Die deutschen Terrorfahnder haben also noch eine Menge Arbeit vor sich!

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